Interplay – 12. Internationales Heißglassympsium in Haapsalu
29.7.–3.8.2019

In Gedenken an Ivo Lill.
Ein bisschen zu früh bin ich am Samstag Nachmittag in Haapsalu angekommen und habe Kai Koppel und ihre Tochter Üla überrascht, die dabei waren den Gemeinschaftsraum für das Symposium herzurichten. Mit mir ist erst ein paar Stunden später gerechnet worden, doch werde ich sehr herzlich in Empfang genommen und mit einem Fahrrad ausgestattet mit dem ich mich auf Erkundungstour begebe. Haapsalu ist der Naherholungsort der Esten und eine absolute Sommerstadt. Wunderschön an der Küste gelegen mit Strand, Promenade, Wald und einer alten Bischofsburg in der Mitte der Stadt. Idyllisch und mit vielen Mücken. Dort an der Hauptstraße im Stadtkern liegt die ehemalige Poststelle, dem jetztigem Evald Okase Museum. Herberge des 12. Internationalen Heißglassymposium in Haapsalu.
Initiiert und geführt wird das Museum der Familie von Evald Okas, einem in Estland sehr bekannten Maler und Grafiker der 2011 verstorben ist. Dazu gehören Jüri Okas (Architekt & Grafiker), Mari Roosvalt (Malerin), Kai Koppel (Glaskünstlerin) und ihren Töchtern Üla Koppel (Architektin) und Mara Ljutjuk (Malerin). 1999 hat Evald Okas das Haus gekauft und seine Enkelin Üla Koppel übernahm die Planung für die Renovierung und Gestaltung des Museums. Der Dachboden und das Erdgeschoss werden mit wechselnden Sonderausstellungen bespielt und im 1. Stock ist die ständige Sammlung Evald Okas zu sehen in extra dafür gestalteten Räumen. Eröffnet hat das Museum 2003 und geöffnet ganz in Haapsaluer Manier von Juni bis September über den Sommer.
Zum Museum gehört hinter dem Haus ein Garten in dem nicht ganz komplett unter freiem Himmel ein Glasofen aufgestellt ist. Dieser war ursprünglich für das erste Symposium 2003, das Kai Koppel organisierte um all ihre Glasfreunde zu treffen, von dem Finnen Mikko Merikallio gebaut worden. Doch steht und läuft er noch immer und wird in unregelmäßigen Abständen für die Haapsaluer Glastage angefeuert. Angefeuert hat Kai Koppel auch die Glasstudiobewegung in Estland. 1991 gründete sie zusammen mit Viivi-Ann Keerdo das erste Heißglasstudio Estlands (Koppel & Keerdo Klaasikoda). Zuerst provisorisch eingerichtet in einer Ecke einer Glasfabrik und schließlich 1995 in den eigenen vier Wände in der Altstadt von Tallinn (Straße: Katariina Käik), wo sie noch immer zu finden sind. Mittlerweile gibt es etwa eine handvoll Glasstudios in Estland. Anders als in Deutschland, wo der Weg meist über eine Handwerksausbildung geht und vielleicht danach an eine Hochschule, Akademie oder Universität führt, ist es in Estland anders herum. Die meisten studieren an der Estonian Academy of Arts (https://www.artun.ee/en/curricula/glass-art/), in der Designfakultät Glaskunst und vertiefen sich eigenständig in verschiedenen Handwerkstechniken.
Künstler:innen
aus Deutschland: Simone Fezer, Louise Lang, Torsten Rötzsch, Cornelius Reer, Petra Kießling, Ulf Petersen, Wilfried Markus; aus Litauen: Marta Gibiete; aus Russland: Svetlana Fedorova; aus Estland: Kai Koppel, Sofi Arshas, Kai Roosaar, Kairi Orgusaar, Herbert Orgusaar, Erki Kannus, Elli Soon, Kati Kerstna
Foto © Kati Kerstna; Louise Lang
Symposium
Eine Woche lang glasmachen, spielen, experimentieren, schaffen, beobachten an einem Ort der geschützt und doch gleichzeitig öffentlich ist, der eine ruhende Energie in sich trägt und außergewöhnlichen Bedienungen schafft. Dazu gehört der Glasofen im Freiem, geschützt durch ein Dach aber mit offenen Seiten spielt der Wind und die Witterung manchmal mehr mit ein in den Prozess als gewöhnlich. Das Glas ist sehr lange heiß, länger als es üblich ist in den Europäischen Glasstudios. Vielleicht vergleichbar mit dem Glas das in japanischen Studios genutzt wird. Es ist durchzogen von Schlieren und kleinen Blasen und in einem bestimmten Zeitraum eher weiß als klar. Der Ofenbau ist zudem etwas eigenartig. Er hat eine langen „Gang“ in den Ofenraum und wird mit Elektroden geheizt. Zum durchwärmen und aufwärmen des Glases wird während der Arbeitszeit ein Gasbrenner in die Tür eingebaut. Das macht den normalen Arbeitsprozess für umgeheftete Sachen, von der Pfeife auf ein Eisen, die geöffnet werden sollten ein bisschen komplizierter, weil die Hitze nicht wie gewöhnlich von vorne sondern von hinten kommt. Dies alles macht es sehr spannend und zwingt einem dazu umzudenken und andere Sachen auszuprobieren als normal.
Spannend und abwechslungsreich ist auch die Mischung der 17 Künstler*innen aus vier verschiedenen Nationen, einige beherrschen das Handwerk, manche arbeiten mit anderen Glastechniken und ein paar sind völlig unvorbelastet. Für diejenigen die Hilfe für die Heißverarbeitung brauchen stehen Simone Fezer und Torsten Rötzsch für die Ideenumsetzung zur Seite.
Zusätzlich gibt es bei diesem Symposium die Glasbläserwerkstatt von Wilfried Markus. Der extra aus Deutschland ein Paket mit all seinen Utensilien nach Estland geschickt hatte, die neben dem Ofen in einem kleinen Pavillonzelt aufgebaut wurden, so dass er windgeschützt arbeiten konnte.
Hauptorganisatorin und Kuratorin ist wie auch schon bei früheren Symposien Kati Kerstna.
Bei familiärer Stimmung wird abends in abwechselnden Teams für alle gekocht und gemeinsam gegessen, gelacht, beratschlagt und ausgetauscht. Ziel ist am Ende der Woche eine Ausstellung präsentieren zu können zum Thema Interplay Glas & Licht, die im Dachgeschoss des Museum bis 15. September 2019 zu sehen ist.
Durch die vielfältigen Hintergründe der Künstler*innen, die alle sehr unterschiedliche Herangehensweisen hatten, war am Glasofen für die Besucher eine abwechslungsreiche Show geboten:
Gezogene Stäbe, Fäden, Blasen, Einblasformen und kleine gepresste Teile, teils weiter verarbeitet sind Teil verschiedener Arbeiten. So zum Beispiel die eher glasmacherischen Ideen der gezogenen Stäbe oder Fäden in unterschiedlichsten Varianten bei Kai Roosaar, Elli Soon, Sofi Arhas und Herbert Orgusaar. Oder den geblasenen Stücke wie die Schalen mit Gravur von Petra Kießling, die Kreisel von Cornelius Reer, die in Schamottstein eingeblasenen Objekte von Kai Koppel und der in Metallform eingeblasenen Quader von Ulf Petersen.
Etwas experimentaler waren die in eine Dreckform eingeblasenen Teilstücke von der Installation von Simone Fezer, in Glasfasertuch eingeblasenen Teilstücke der Arbeit Light Carriers von dem russischen Ehepaar Svetlana Fedorova und Dinar Shamsiev und meine eignen Experimente mit geblasener Glasfolie mit zwei verschiedenen Ergebnissen.
Etwas anspruchsvoller in der Umsetzung war das dreiteilige Fischgerippe von Kairi Orgusaar und aus mehreren geblasenen bzw. gepressten Teilstücken haben Torsten Rötzsch, Marta Ģibiete und Kati Kerstna ihre Arbeiten gebaut. Eine besondere Soundinstallation hat Erki Kannus aus kleinen Pfeifen die an Glaszylinder befestigt waren und drei Eimern Wassern geschaffen.
Einige sind wie ich etwas früher angereist und so wurde es langsam immer voller in der Küche und auf dem Hof bis schließlich am Montag alle beisammen waren und das Symposium offiziell beginnen konnte. Nach zwei Tagen konnten die Besucher schon erste Teilstücke der Arbeiten sehen und jeden Folgetag wurde es mehr und mehr. Als Zwischentermin gab es am Donnerstag, den 1. August einen Vortrag von Elo Livv einer estischen Lichtkünstlerin und im Anschluss eine Vorstellungsrunde aller teilnehmenden Künstler. Der auch schon den Endspurt für den Samstagvormittag einläutete, letzte Arbeiten wurden installiert und am Nachmittag die Ausstellung mit einer Sound-Tanz Performace von Sofi Arshas und Erki Kannus eröffnet.
Mehr Informationen zum und über das Symposium gibt es auf der Facebook Seite (Haapsalu Glass Days) und der Homepage des Evald Okase Museums (www.evaldokasemuuseum.ee).